Interview mit der Gleichstellungsbeauftragten des Rhein-Neckar-Kreises, Susanne Vierling, über häusliche Gewalt gegen ältere Frauen
Warum legen Sie als Gleichstellungsbeauftragte des Kreises den Fokus am Internationalen Frauentag auf das Thema Häusliche Gewalt gegen ältere Frauen?
Susanne Vierling: Häusliche Gewalt oder Partnerschaftsgewalt betrifft Menschen jeden Alters. Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die von Gewalt betroffen sind, sind Frauen. Studien gehen davon aus, dass jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben von ihrem Partner oder Ex-Partner Gewalt erfahren hat. Dabei erleben junge Frauen neben psychischer Gewalt besonders körperliche und sexuelle Gewalt. Bei Frauen ab 60 Jahren tritt die psychische Gewalt verbunden mit verbalen Demütigungen und Beleidigungen in den Vordergrund. Trotzdem werden auch ältere Frauen geschlagen, gewürgt und vergewaltigt, die Statistik geht hierbei von etwa 10 Prozent bei Frauen in Partnerschaften zwischen 60 und 74 Jahren aus. Die psychische Gewalt liegt in dieser Altersgruppe mit fast 18 Prozent noch höher.
In der öffentlichen Wahrnehmung spielt die häusliche Gewalt gegen ältere Frauen allerdings kaum eine Rolle. Woran liegt das?
Susanne Vierling: In erster Linie daran, dass sich ältere Frauen weniger an Beratungsstellen, an Frauenschutzhäuser oder die Polizei wenden. So werden sie statistisch kaum beachtet. Um dem entgegenzuwirken, lege ich im Jahr 2022 als Gleichstellungsbeauftragte des Rhein-Neckar-Kreises gemeinsam mit unseren Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern im Gewaltschutzkonzept Häusliche Gewalt den Fokus unserer öffentlichen Aktionen auf die Partnerschaftsgewalt bei älteren Menschen. Der Internationale Frauentag am 8. März ist somit der Auftakt mehrerer unterschiedlicher Aktionen und handelt – weil Frauentag ist – von der häuslichen Gewalt gegen ältere Frauen. Am Internationalen Männertag im November werden wir den Fokus auf Partnerschaftsgewalt gegen Männer legen.
Wie unterscheiden sich die Hilfsangebote für ältere Frauen von denen für junge Frauen?
Susanne Vierling: Grundsätzlich unterscheidet sich die Beratung für Seniorinnen nicht von der Beratung junger Frauen, da es ja darum geht, einen Weg aus der Gewaltsituation zu finden und sich selbst zu schützen. Dennoch sind die Rahmenbedingungen andere. Ältere Frauen leben oftmals schon Jahre oder Jahrzehnte mit einem gewaltausübenden Partner zusammen. Gerade in dieser Generation überwiegt auch ein traditionelleres Rollenverständnis. „Man trennt sich nicht“ ist bei älteren Frauen häufiger zu hören als bei jungen Frauen.
Welche weiteren Hemmnisse gibt es?
Susanne Vierling: Hinzu kommt bei einer Trennung möglicherweise der Verlust einer bereits abbezahlten gemeinsamen Wohnung oder die Frau hat aufgrund der Kindererziehung nicht oder nur wenig gearbeitet und daher nur geringe Rentenansprüche. Bei einer Trennung würde sie vielleicht in die Altersarmut abrutschen. Kommt dann noch eine Pflegebedürftigkeit hinzu, kann die Gewalt in der Partnerschaft nochmal eine neue Dimension bekommen. All das sind Hemmnisse für eine Trennung, leider auch bei Gewalt.
Wie kann man da helfen?
Susanne Vierling: Die Lebensrealität im Alter ist also eine andere als bei jungen Frauen, daran orientiert sich auch die Beratung, die bei uns im Rhein-Neckar-Kreis in erster Linie von der Frauenberatungsstelle Lida der Diakonie geleistet wird. Aus diesem Grund ist auch die Schutzwohnung im Betreuten Wohnen, die unser Kooperationspartner, das Deutsche Rote Kreuz Mannheim, gemeinsam mit der alwine-Stiftung betreibt, wertvoll. Die Erfahrung zeigt, dass ältere Frauen nicht oder nur selten im Frauenschutzhaus Hilfe suchen – entweder aus Scham, oder weil für sie das Umfeld nicht passt bzw. nicht barrierearm ist. Diese Schutzwohnung ist speziell auf die Bedürfnisse älterer Menschen ausgerichtet.
An wen können sich Betroffene, ihre Angehörige oder Bekannte im Rhein-Neckar-Kreis wenden, um Hilfe und Unterstützung zu bekommen?
Susanne Vierling: Im Rhein-Neckar-Kreis ist die Frauenberatungsstelle und Interventionsstelle Lida des Diakonischen Werkes Rhein Neckar die erste Anlaufstelle für von Gewalt betroffene Frauen jeden Alters. Die Mitarbeiterinnen von Lida beraten telefonisch, per Mail oder persönlich und kommen auch in die Nähe des Wohnortes der Ratsuchenden. So entstehen keine langen Anfahrtswege für die Frauen. Die Gespräche sind zudem selbstverständlich vertraulich und können auch anonym geführt werden.
Und wenn im Ernstfall nur noch ein Auszug die Lösung ist?
Susanne Vierling: Braucht die Frau eine anonyme Schutzunterkunft, so leiten die Mitarbeiterinnen von Lida dies an das DRK Mannheim weiter, das mittlerweile zwei Schutzwohnungen im Rhein-Neckar-Kreis betreut. Eine davon ist, wie bereits erwähnt, barrierearm im Betreuten Wohnen. Weitere Schutzwohnungen sollen in den nächsten Jahren auch vom DRK Rhein-Neckar/Heidelberg errichtet werden, um das Hilfsangebot in die Fläche des Landkreises zu bringen. Außerdem ist ein Frauen- und Kinderschutzhaus durch das DRK Mannheim geplant, um möglichst vielen Frauen eine sichere Notunterkunft anbieten zu können. Betroffene und ihre Angehörige können sich auch rund um die Uhr an das bundesweite Hilfetelefon wenden, welches in 17 Sprachen telefonisch, per Mail oder per Chat Unterstützung anbietet. Nicht zu vergessen ist selbstverständlich – gerade in Akutsituationen – der Notruf der Polizei. Wichtig ist, das Schweigen zu brechen! Übrigens bietet der Verein Fairmann umgekehrt auch Beratung für Männer, die selbst Gewalt ausüben und dies beenden möchten.
Quelle: Landratsamt RNK