Am Dienstag, 12. Oktober 2021 ist ab 11 Uhr das Straßentheaterprojekt des Reutlinger Theater in der Tonne e.V. in Weinheim auf Vorderen Schlosshof zu sehen.
Unter dem Titel „Hierbleiben… Spuren nach Grafeneck“ nimmt sich das Projekt ein historisch bedeutendes Ereignis der „Euthanasie“-Verbrechen zum Anlass. Durch die Begegnung mit den Darsteller*innen mit Behinderung im öffentlichen Raum wird auch ihre heutige Situation aufgezeigt.
Die berüchtigten „Grauen Busse“ kamen auch in die damalige Kreispflegeanstalt des Kreises Mannheim in Weinheim, dem heutigen GRN-Betreuungszentrum und deportierten Menschen mit Beeinträchtigungen nach Grafeneck, die dort am Tag der Ankunft ermordet wurden. Insgesamt ermordeten die Nationalsozialsten im Jahr 1940 10.654 Menschen mit Behinderungen oder geistigen Erkrankungen in Grafeneck, weil Sie den Nationalsozialisten als „lebensunwert“ galten.
In Anspielung an die „Grauen Busse“, die damals zur Deportation dienten, wurden 25 Herkunftsorte der Menschen mit Beeinträchtigungen in Baden-Württemberg für das Straßentheaterprojekt ausgewählt. Der Theaterbus fährt mit dem inklusiven Ensemble, Requisiten, Bühnenbild, Kunstobjekten, etc. direkt vor Ort, um die performative Aufführung umzusetzen. Unter der Regie von Theaterintendant Enrico Urbanek wird das Projekt vom Theater Reutlingen Die Tonne umgesetzt.
Bei diesem Projekt verbindet sich Choreografie, Musik, bildender Kunst, Medienkunst und dokumentarischen Elementen. Über eine facettenreiche Auseinandersetzung zwischen Ensemble und Publikum werden Denkanstöße gegeben, die weit über Betroffenheit einerseits und Information andererseits hinausgehen. Durch den Einsatz historischer Fakten in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum Gedenkstätte Grafeneck, dem Stadtarchiv Weinheim und dem Archiv des Rhein-Neckar-Kreises wird ein direkter regionaler und gesellschaftlicher Bezug hergestellt.
Der Bus verweilt dabei circa eineinhalb Stunden auf dem Vorderen Schlosshof und bietet verschiedene Begegnungen mit dem Ensemble. Die Interaktionen mit dem Publikum können Aufgrund der Corona-Pandemie nur unter gebührendem Abstand stattfinden. Um die nötigen Abstände zwischen den Zuschauer*innen während der Corona-Pandemie einzuhalten, wird auf dem Vorderen Schlosshof eine Theatersituation aufgebaut, sodass Sitzplätze in einem abgesperrten Bereich vor der Bühne vorhanden sind. Der Aufführung kann natürlich auch im Stehen gefolgt werden. Der Eintritt ist frei, jederzeit kann man noch dazu stoßen und wieder weiterziehen.
„Wir danken der Regionalentwicklung Neckartal-Odenwald, der Stadt und dem GRN Betreuungszentrum, die uns nach allen Möglichkeiten bei der Umsetzung der Aufführung in Weinheim unterstützen, trotz Corona“, so Projektleiter Maximilian Tremmel. Ursprünglich hätte die Premiere am 8. Mai 2020 in Reutlingen im Rahmen des Festivals Kultur vom Rande stattgefunden. Die Corona-Pandemie machte eine Neuplanung nötig, die erste Aufführung fand am 17. September 2020 in Mosbach statt.
Coronabedingt hatte es nach den ersten sieben Aufführungen im Herbst 2020 eine lange Unterbrechung der Aufführungsreihe gegeben. Ab Juni 2021 konnten weitere Aufführungen gespielt werden.
Bei den nun mittlerweile 18 gespielten Vorstellungen haben über 1.900 Zuschauer*innen die Produktion erlebt. Die Vorstellung am historischen Ort der „Euthanasie“-Verbrechen in Gomadingen-Grafeneck bildete den Abschluss der Aufführungsreihe vor den Sommer- und Theaterferien Ende Juli 2021. Ab Mitte September sollen noch bis Mitte Oktober 2021 weitere Termine das Projekt beschließen, die Aufführung in Wiesloch bot den Auftakt in der neuen Spielzeit.
Das seit 60 Jahren bestehende Theater Reutlingen Die Tonne hat bereits seit vielen Jahren Erfahrungen mit der inklusiven Theaterarbeit und präsentiert die entwickelten Inszenierungen regelmäßig auf Festivals im deutschsprachigen Raum. Seit 2012 gibt es am Theater Reutlingen Die Tonne eine von den örtlichen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen mitgetragene Initiative, bei der Menschen mit Beeinträchtigungen einen Teil ihrer Arbeitszeit am Theater absolvieren und dort eine künstlerische Ausbildung erhalten.
Das Projekt wird gefördert durch die LEADER-Förderung (ein von der EU eingerichtetes Förderprogramm für die Entwicklung ländlicher Räume) und von der „Lernenden Kulturregion Schwäbische Alb“ im Rahmen von „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, den Landkreis Reutlingen sowie durch Daimler Truck.
Kooperationspartner sind BAFF [Träger Lebenshilfe und BruderhausDiakonie], die Fakultät für Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, die BruderhausDiakonie-Werkstätten Reutlingen sowie die Habila GmbH Rappertshofen Reutlingen.