Ein besonderes Jahr
Schriesheim/Baden. Es war um das Jahr 2000 herum, da entwickelten Winfried Krämer und Harald Weiss, der damals noch neue Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Schriesheim, eine Vision. Krämer, Landwirt, Winzer und seinerzeit Aufsichtsrat der größten badischen Genossenschaft nördlich von Heidelberg, durfte mal träumen: „Wenn die Leute sagen, ich kaufe mir den besten Wein im nördlichen Baden, dann sollen sie von Schriesheim reden, so wie sie von Durbach in der Ortenau reden oder von Sasbach am Kaiserstuhl.“
20 Jahre später ist diese Vision zur Wirklichkeit geworden.
Die Schriesheimer Winzergenossenschaft nimmt an der Badischen Bergstraße eine Spitzenposition ein und spielt in Baden in der „Bundesliga“ der Betriebe und Genossenschaften.
Das beweist nun wieder der nächste Bereichs-Ehrenpreis bei der Badischen Gebietsweinprämierung in Offenburg: es ist insgesamt der 16. – und der 15. in Folge. Aber trotz der langen Serie, die für die große Beständigkeit spricht, ist dieses Jahr nichts Routine, im Gegenteil: Niemand fährt aus Schriesheim nach Offenburg, um die Trophäe persönlich entgegenzunehmen. Das lässt die Corona-Lage nicht zu. Und auch von der Pandemie abgesehen, ist 2020 für die Winzergenossenschaft Schriesheim ein ganz besonderes Jahr. Nicht nur, weil sie – 1930 gegründet – ihr 90-jähriges Bestehen feiert. Auch weil die Ära von Harald Weiss als Geschäftsführer nun zu Ende gegangen ist; er ist im Ruhestand. Sein Wegbegleiter Winfried Krämer – längst Vorsitzender des Aufsichtsrates – und andere sind sich einig: der aus Südbaden stammende und weit gereiste Önologe hat den Weinbau in Schriesheim in den vergangenen 20 Jahren geprägt wie kaum eine andere Person in der 90-jährigen Geschichte der Genossenschaft. So ist der 16. Ehrenpreis auch ein Abschiedsgeschenk an ihn. Harald Weiss will „seiner“ Genossenschaft als Berater auch im Ruhestand erhalten bleiben. Sein Credo wurde übrigens auch in diesem Jahr bestätigt. Die Auszeichnung, pflegte er zu sagen, sei eine „Belohnung für Kontinuität und die ständige Qualitätsentwicklung unserer Winzer, denn die Grundlagen für guten Wein werden im Weinberg gelegt“.
Die meisten der sage und schreibe 27 Goldmedaillen für Weine der Schriesheimer Winzergenossenschaft entstammen dem Jahrgang 2018. Das war, wie man weiß, kein leichtes Jahr. Es war zu heiß und zu trocken. Später wird man vielleicht einmal sagen, dass es im Weinbau ein einschneidendes Jahr war. Früher sollten die Trauben möglichst süß sein, viel Zucker einlagern, lange am Stock hängen. Das hat sich – teilweise zumindest – geändert. Denn in Zeiten des Klimawandels kommt es künftig darauf an, zum Geschmack auch Maß und Mitte zu finden. Sonst entstehen allzu schwere „Alkoholbomben“.
Modern denkende Betriebe und Genossenschaften schaffen den Wandel. Wie die Schriesheimer.
Der Jubiläumswein zum 90-jährigen Bestehen ist so ein Wein des Jahrgangs 2018, ein Spätburgunder aus den besten Lagen, eine Grand Cuvée – selbstverständlich mit Gold dekoriert und ein Mosaikstein des 16. Ehrenpreises: Mit feiner Frucht, einem ausgewogenen Säure/Süße-Spiel, mit 14 Prozent Alkohol kein Leichtgewicht aber elegant. Er dürfte zu den großen Burgundern Badens gehören, bleibt aber in schicker Aufmachung bei einem Ladenpreis von 16,90 Euro. So sind sie, die Schriesheimer.
Die Winzergenossenschaft, die ihren Sitz im historischen Ambiente mitten in der Schriesheimer Altstadt hat, verdient sich den neuerlichen Ehrenpreis mit einem Füllhorn an Edelgold: Zu den 29 Goldmedaillen (zwei davon für Sekte) kommen 15 Silbermedaillen.
Das zeigt, wie groß die Vielfalt der prämierten Produkte aus der Weinstadt ist, was auch der Philosophie der traditionsreichen Winzergenossenschaft entspricht, die möglichst vielen Menschen den Zugang zum Weingenuss verschaffen will. „Wir machen alle Weine so gut, wie es geht, egal, was sie später kosten“, erklärt Aufsichtsratschef Winfried Krämer, „der Kunde hat ein Recht auf die beste Qualität, ob er einen großen oder kleinen Geldbeutel hat“. Er weiß, dass diese Verlässlichkeit ein Marktvorteil des Schriesheimer Weines ist: Wer einen kauft, kann keinen Fehler machen.
Deshalb sind er und seine Vorstandskollegen auf die große Bandbreite der „vergoldeten“ Weine besonders stolz: Die höchste Auszeichnung hat sich zum Beispiel sowohl ein 2019er-Weißburgunder verdient, der leicht und fruchtig einfach nur gute Stimmung verströmt – und im Weinladen gegenüber des Zehntkellers für 5.90 Euro mitzunehmen ist. Andererseits wurden auch die „Schwergewichte“ der Genossenschaft wieder mit Gold behängt: Zum Beispiel die Chardonnay-Spätlese aus dem Jahr 2018, die nach reifen Äpfeln und Birnen riecht, dann aber ganz erstaunlich frisch und lebendig durch die Kehle rinnt (Ladenpreis 9.50 Euro). Oder die konzentrierte Spätburgunder Rotwein-Selektion, die an Sauerkirschlikör und Vanille erinnert, opulent wie eine Schwarzwälder Kirschtorte (14.90 Euro). Ebenso die nach Rosenblüten duftende Gewürztraminer-Spätlese (8.90 Euro). Das sind die „Granaten“ im Regal. Der Winter mit Kaminfeuer kann kommen. Und sogar bald. Der St. Laurent „No.1“ im Stil eines Beaujolais wird noch vor Weihnachten als erster „20er“ herauskommen.
Immer spannender werden die Riesling-Weine aus Schriesheim, die seit der Rebflurbereinigung vor einigen Jahren und mit der Postkarten-Lage Schlossberg (unter der Strahlenburg) einen Vormarsch antreten: Zwei Goldmedaillen sind hier vergeben worden. Und alle Gold-Weine liegen bei einem Ladenpreis unter 8 Euro. Aufgegangen ist der Plan der Genossenschaft, die modernen Sorten Chardonnay und Sauvignon Blanc zusätzlich zur Exklusiv-Serie nun auch im süffigen Gute-Laune-Stil auszubauen. Der 19er-Chardonnay (für 6.50 Euro) hat schon im zweiten Jahr hintereinander Gold geholt. Überhaupt ist die Winzergenossenschaft auch zu Zeiten ihres 16. Titels in der Metropolregion Rhein-Neckar ein Aushängeschild des Badischen Weins: Auch beim kulinarischen Kult-Varieté „Palazzo“ stehen Schriesheimer Weine auf der Karte.
90 Jahre sind Geschichte, die vielen Ehrenpreise aber keine Lorbeeren, auf denen man sich ausruhen kann, finden die Schriesheimer. Die Genossenschaft wäre nicht so erfolgreich alt geworden, wenn sie nicht immer aufgeschlossen gewesen wäre für Neues. Mittlerweile wurden neue Rebsorten gepflanzt, deren Weine auch Greta Thunberg gefallen würden: solche, die wenig oder gar keine Pflanzenschutzmittel mehr brauchen. Stöcke von Souvignier Gris und Cabernet Blanc tragen schon Trauben, andere sind nachwachsende Rohstoffe. Für die Zukunft und für weitere Ehrenpreise.