Kunststaatssekretärin Petra Olschowski: „Gelebte Traditionen prägen das Selbstverständnis des deutschen Südwestens als Kulturland – gerade für zukünftige Generationen“
Süddeutsche Wanderer- und Hüteschäferei und Handwerkliches Bierbrauen kürzlich in Verzeichnis aufgenommen
Die „Schwörtagstraditionen in ehemaligen Reichsstädten“ und der „Streuobstanbau“ könnten schon bald in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen werden. Beide haben die erste Hürde genommen und sind offiziell für die Liste vorgeschlagen worden. „Das immaterielle Kulturerbe steht für unsere lebendige Alltagskultur. Die Bewahrung dieses Erbes trägt dazu bei, dass gelebte Traditionen fortgeführt und weiterentwickelt werden, die das Selbstverständnis des deutschen Südwestens als Kulturland prägen“ sagte Kunststaatssekretärin Petra Olschowski am Mittwoch (6. Mai) in Stuttgart. Gerade für zukünftige Generationen werde so das öffentliche Bewusstsein für diese Traditionen gestärkt.
„Baden-Württemberg hat mit mehr als 100.000 Hektar Streuobstwiesen europaweit die bedeutendsten Streuobstbestände. Mit rund 5.000 Tier- und Pflanzenarten zählen sie zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa und sind wertvolles Gen-Reservoir für rund 3.000 Obstsorten. Streuobstwiesen sind auch touristisch attraktive Kulturlandschaften, die das baden-württembergische Landschaftsbild prägen“, so Olschowski weiter. Dem Streuobstanbau komme daher nicht nur als Kulturform große Bedeutung zu.
„Die Schwörtage sind Ausdruck eines demokratischen urbanen Geistes. Sie sind nicht nur kulturelles Gedächtnis der Städte, sondern nach ihrer Revitalisierung bis heute ein sichtbares Zeichen bürgerschaftlichen Gemeinsinns und zivilgesellschaftlichen Engagements“, sagte die Staatssekretärin.
Zuletzt hatten es die „Süddeutsche Wanderer- und Hüteschäferei“ und das „Handwerkliche Bierbrauen nach dem Reinheitsgebot“ aus der Vorschlagsrunde von 2017 durch Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes geschafft.
Weitere Informationen:
„Der Streuobstanbau in Deutschland als Archiv kulturellen Erbes“, Bewerbung des Vereins Hochstamm Deutschland. e.V.
Der Streuobstanbau ist eine länderübergreifende Kulturform, deren Wert vor allem im Wissen und Weitergeben und in traditionellen Anbau- und Bewirtschaftungstechniken, weniger in gesellschaftlichen Bräuchen liegt. Hier wird vom Baumschnitt bis zum Mostrezept ein breites Repertoire an traditionellen Praktiken und Wissen eingesetzt und weitergegeben. Beim Streuobstanbau handelt es sich um ein weit über Deutschland hinausreichendes, länderübergreifendes Kulturphänomen.
„Schwörtagstraditionen in ehemaligen Reichsstädten“, gemeinsame Bewerbung der Städte Esslingen am Neckar, Reutlingen und Ulm
Die Schwörtagstraditionen gehen auf eine bis ins Mittelalter zurückreichende Verfassungstradition zurück, die für die genannten reichsunabhängigen Stadtstaaten jahrhundertelang typisch war und nach 1945 als Ausdruck demokratischen urbanen Geistes wieder zum Leben erwachte. Die Schwörtage sind nicht nur kulturelles Gedächtnis der Städte, sondern sie sind nach ihrer Revitalisierung bis heute ein sichtbares Zeichen bürgerschaftlichen Gemeinsinns und sind Ansporn für die Einwohner zu zivilgesellschaftlichem Engagement.
In das Verzeichnis aufgenommen worden sind kürzlich die „Süddeutsche Wanderer- und Hüteschäferei“ und das „Handwerkliche Bierbrauen nach dem Reinheitsgebot.“ Mit der Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes werden die Schäferei, die als jahrhundertelange Tradition bis heute eine bedeutende Rolle für den Erhalt der Natur- und Kulturlandschaften spielt, und das handwerkliche Bierbrauen, als ein in den letzten Jahren sehr wandlungsfähiges Handwerk, unter anderem durch eine Renaissance des Selbst-Brauens, gewürdigt. Die alte Tradition des handwerklichen Bierbrauens nach dem Reinheitsgebot erfährt durch die Neugründung von Brauereien eine Wiederbelebung. Die Süddeutsche Wanderer- und Hüteschäferei, beheimatet in Bayern und Baden-Württemberg, vermittelt relevantes Wissen und Können für den Erhalt der Natur- und Kulturlandschaften und ist vielfältig ausgeprägt.
Jury und Verfahren
Die Jury, bestehend aus unabhängigen Sachverständigen des Landes, bewertete die Bewerbungen nach den Kriterien „hinreichend belegtes Alter und entsprechende Tradition als kulturelles Erbe“, „herausragende kulturelle bzw. kulturgeschichtliche Bedeutung“, „ehrenamtliches Engagement der Funktionsträger und Organisatoren ohne Gewinnerzielungsabsicht“ sowie „Regionaltypik und identitätsstiftende Wirkung für einen bestimmten geographischen Raum“. Mitglieder der Jury sind die Akademische Rätin Dr. Karin Bürkert vom Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen, Prof. Dr. Werner Mezger vom Institut für Volkskunde der Universität Freiburg sowie Dr. Markus Speidel, Leiter der Fachabteilung Populär- und Alltagskultur im Landesmuseum Württemberg.
Die Bewerbungen „Schwörtagstraditionen“ und „Streuobstanbau“ werden an die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder zur Bewertung gegeben. Von dort werden die Bewerbungen an die Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (DUK) weitergereicht. Im Herbst 2020 wird die bundesweite Expertenkommission endgültige Auswahlempfehlungen für die Aufnahme in das Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe treffen.
Immaterielles Kulturerbe
Deutschland ist seit 2013 der 153. Vertragsstaat des UNESCO-Über-einkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Das Übereinkommen fördert und erhält in allen Weltregionen überliefertes Wissen, Können und Alltagskulturen. Zum immateriellen Kulturerbe zählen unter anderem Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturheilkunde und Handwerkstechniken.