Eröffnung: 24. April 2019, 19 – 21 Uhr
Laufzeit: 25. April bis 5. August 2019
Mail-Art hat keine Geschichte, nur den jetzigen Moment. Nie zuvor hatte dieses Statement von Ray Johnson aus dem Jahr 1977 mehr Gültigkeit als im Kontext heutiger Korrespondenz und Kommunikationsverhaltens, vor allem im Zeichen sozialer Netzwerke. Im Internet existiert alles im gegenwärtigen Augenblick. Die Informationen, die wir erstellen und weitergeben, werden durch Medien ohne Hierarchie oder Zentralität transportiert und entwickeln die künstliche Intelligenz von morgen. Die soziale Vernetzung durch die Möglichkeiten des Internets hat die globale Gesellschaft längst umstrukturiert. – Mit seiner aktuellen Ausstellung führt der Salon Berlin des Museum Frieder Burda drei künstlerische Positionen unterschiedlicher Generationen, Herkunft und Strategien zusammen, die alle eines im Fokus haben: Den Appell an den Betrachter, als Akteur im Sinne des Kunstwerks „mitzumachen“ und dieses damit seinem eigentlichen Zweck zuzuführen. Erst der „Pakt“ zwischen Künstler und Rezipient vollendet das auch nicht selten ephemere Kunstwerk in seiner eigentlichen Intention.
Immer antizipiert ein Kunstwerk sein Verhältnis zum Betrachter, es ist intrinsisch und seinem Wesen immanent. Ein Gemälde definiert den idealen Standort des Betrachters, den ihm die Leinwand als Fensterausblick in eine andere Welt suggeriert. Die Plastik im Raum erfordert ihre Umgehung und das Einnehmen verschiedener Blickwinkel, erst der Perspektivwechsel ermöglicht das räumliche Wahrnehmen. Und die theatralischen wie medialen Künste erfordern das Investment von Zeit in die Betrachtung. Seit Marcel Duchamp und vor allem seit der Erfindung der Konzeptkunst haben Künstler*innen immer wieder versucht, das „Diktat“ des Kunstwerks produktiv zu nutzen, ja ironisch zu brechen. Welche Macht hat ein Kunstwerk, wie instruktiv kann es sein, was kann es bewirken, indem es seine Gebrauchsanweisung mitliefert und den Betrachter so zum Komplizen macht?
Ray Johnson, Adrian Piper und JR: Bei allen drei Künstler*Innen avanciert das Interagieren im Zeichen der Kunst zu einem Modell für soziale Interaktion und engagierte Teilhabe. So entsteht Kunst, die das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer globalen Gemeinschaft und ein friedliches Miteinander über die Unterschiede in Sprache, Religion und Ideologie hinaus zu etablieren versucht: Die Emanzipation des Betrachters als Kollaborateur des Künstlers wirkt als Anstiftung zur politischen Artikulation, als Impuls zu einem selbstbewussten Umgang mit gelebter demokratischer Verantwortung, als Sensibilisierung für die Bedeutung der individuellen Stimme. Während der „Vater der Mail-Art“ Ray Johnson (*1927, Detroit – 1995, New York) mit seinen Collagen die Geste der Kommunikation und Interaktion zu seinem Stilmittel erhebt, spiegelt das Werk der Konzeptkünstlerin Adrian Piper (*1948, New York) in seiner Diversität ein offenes Verständnis von Kunst wider, das das Persönliche mit dem Politischen verbindet. Für den Multimedia-Künstler JR (*1983, Paris) wird währenddessen der Stadtraum zur Leinwand für seine großflächigen schwarz-weiß Collagen, um dort die partizipativen Kräfte der Bewohner zu aktivieren. Allen drei geht es um die Aufhebung der klassischen Grenzen des Kunstwerks, um die Verbindung von Kunst und Leben, um das Auflösen eines elitären Kunstbegriffs.
Künstlerische Leiterin und Kuratorin Patricia Kamp über die Ausstellung: „Die Intensität des Dialogs der Arbeiten von Ray Johnson, Adrian Piper und JR hat uns bereits im Vorfeld der Entstehung der Ausstellung oftmals überrascht. Dadurch wurde uns nochmal mehr ins Bewusstsein gerufen, dass wir nicht als Individuen inmitten von unbedeutenden, isolierten Fakten leben, sondern Teil von einer Vielzahl an Referenzen, Korrespondenzen und Begegnungen sind, die uns mit anderen Menschen und der Welt verbinden.“ Und weiter: „Wir hoffen sehr, dass auch unsere Besucher diese Erfahrung machen können. Die Art und Weise, wie die gezeigte Kunst die Menschen berührt, indem sie ihre Gesichter und Stimmen für mehr Menschlichkeit und eine offene Gesellschaft sichtbar macht, ist nicht nur eine Bereicherung, sondern eine wesentliche Position in dieser Ausstellung.“