Am 29. Oktober erinnert Weinheim im Mühlweg an drei Frauen, die der so genannten „Euthanasie“-Aktion in den Jahren 1940 und 1941 zum Opfer fielen
Weinheim. Innerhalb der sogenannten T4-Euthanasie-Aktion wurden zwischen Jan. 1940 und Sept. 1941von dem nationalsozialistischen Regime ca. 70.000 (!) geistig und körperlich behinderte Menschen ermordet.
Auch Bewohner und Pfleglinge des damaligen Kreispflegeheims in Weinheim waren unter
den Opfern.
Im Jahr 2014 recherchierte die Heidelberger Politikwissenschaftlerin Sabine Zöller,
Abiturientin der damaligen Weinheimer Multschule (heute Dietrich-Bonhoeffer-
Gymnasium), das Familiengeheimnis der drei verschwundenen Großtanten, die im
Stammbaum der Familie nur jeweils ein Strich ohne weitere Daten hinterlassen hatten. Sie
waren „weggekommen“, hieß es.
Nun werden am Dienstag, den 29. Oktober, um 9 Uhr in Weinheim, Mühlweg 10, für die
drei aus dem Kreispflegeheim Weinheim deportierten und getöteten Großtanten Zöller
Stolpersteine verlegt.
Mit der Unterstützung ihres Vaters, des Stadtarchivs Weinheim, des Kreisarchivs des Rhein-Neckar-Kreises in Ladenburg, der Doktorarbeit von Marie Berger über „Das Kreispflegeheim Weinheim im Nationalsozialismus“ und der Gedenkstätte in Grafeneck fand Sabine Zöller Schritt für Schritt heraus , dass zwei der Großtanten am 15. Oktober 1940 mit 64 weiteren Bewohnerinnen und Bewohnern aus dem Kreispflegeheim Weinheim nach Grafeneck deportiert und dort noch am selben Tag in der Gaskammer getötet wurden. Am 30. April wurden weitere 70 Bewohner des Kreispflegeheims Weinheim nach Hadamar deportiert und auch dort am selben Tag vergast. Nur die noch arbeitsfähigen Bewohnerinnen und Bewohner überlebten diese erste „Tötungsphase. Die dritte Großtante wurde erst 1943 aus Weinheim „verlegt“, nach Geisingen, und kam dort kurz nach ihrer Verlegung am 15.11.1943 zu Tode.
In Folge der Großtantenrecherche wurde am 20. März 2015 in einer sehr gut besuchten
Veranstaltung die vierwöchige Wanderausstellung der Gedenkstätte Grafeneck eröffnet, die auf Initiative von Sabine Zöller nach Weinheim geholt worden war und in den Räumen der Stadtbibliothek Weinheim gezeigt wurde.
Im November 2015 fand dann die Gedenkveranstaltung (Deportation der Juden nach Gurs, Deportation der Pfleglinge nach Grafeneck, Reichspogromnacht) im Rolf-Engelbrecht-Haus statt, die inhaltlich von vier Weinheimer Schulen gestaltet wurde. Seither sind die Weinheimer Opfer der nationalsozialistische T4-„Euthanasie“-Aktion – die systematische Ermordung von Menschen mit Behinderung – fest in der Weinheimer Gedenkkultur verankert.
Zu der nun am 29. Oktober stattfindenden Stolpersteinverlegung durch Gunter Demnig
werden neben Vertretern aus Stadt- und Kreispolitik, Vertretern der Weinheimer Schulen,
auch der Leiter der Gedenkstätte Grafeneck, Thomas Stöckle, sowie der ehemaligen Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Uni HD, Prof. Dr. Wolfgang Eckart, und seine Kollegin, Prof. Dr. Maike Rotzoll, eingeladen. Alle drei haben in jahrzehntelanger Arbeit maßgeblich zur Erforschung und Aufklärung der nationalsozialistischen Mordaktion beigetragen!
Mit dabei sein bei der Verlegung werden auch einige Weinheimer*innen der Jahrgänge um
1930, die sich aufgrund ihres Alters noch an dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnern können und über ein großes Wissen über „diese Zeit“ verfügen.
Musikalisch umrahmt wird die Verlegung durch ein Bläserquintett der Peterskirche, geleitet
von Simon Langenbach.
Zu Beginn der Verlegung werden Andrea Rößler, die Leiterin des Stadtarchivs, und Sabine Zöller, die Initiatorin der Stolpersteinverlegung, ein paar einleitende Worte sprechen.
Nach der Verlegung am 29. Oktober, die gegen 10 Uhr enden wird, treffen sich Interessierte, die noch ein Bedürfnis zum Nachgespräch haben, in einer Gastwirtschaft am Weinheimer Marktplatz. Genauer Ort wird bei der Verlegung bekannt gegeben.
Die Stadt Weinheim ist mit dem grundsätzlichen Beschluss der Unterstützung der
Stolpersteinverlegung in der Lage, jedes Mal einen weiteren Baustein zu einer auf
demokratischen Grundsätzen basierenden Gedenkkultur beizutragen, die gegen die
Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes anmahnt.